Zu ausgewählten Fachthemen werden vom Referat 31 hochrangig besetzte Expertenhearings veranstaltet, um neue Impulse in die bremische Arbeit mit Pflegebedürftigen einfließen zu lassen. Die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz lädt hierfür bundesweit anerkannte Spezialisten aus ihren Bereichen ein, die mit ca. halbstündigen Vorträgen die Möglichkeit haben, ihre – zum Teil durchaus gewollt kontroverse – Sicht auf ein bestimmtes Fachthema darzulegen und dieses anschließend gemeinsam zu diskutieren. Nachfolgend finden Sie die durchgeführten Expertenhearing mit ihren Vorträgen.
50 Prozent der Pflegekräfte in der Altenpflege müssen Fachkräfte sein. So will es das Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz, das sich an bundesweiten Maßstäben orientiert. Angesichts des Fachkräftemangels sind diese festen Quoten überall in die Diskussion geraten. Zu diesem Thema hat die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen Integration und Sport, Anja Stahmann, am Donnerstag, 18. Oktober 2018, zu einem „Expertenhearing zur Fachkraftquote und zum Qualifikations- und Personalmix in der stationären Altenpflege“ eingeladen. Ziel ist es, das Für und Wider der Fachkraftquote zu erörtern und intelligente Konzepte kennenzulernen, die einerseits Bewohnerinnen und Bewohnern ein würdiges Leben ermöglichen und andererseits den Beschäftigten ein attraktives Arbeitsumfeld bieten. Das Expertenhearing sei dabei ein Auftakt und ein Anstoß zur weiteren fachlichen Diskussion. Es sei nicht eingeladen worden, um ein „Ergebnis“ im Sinne einer Lösung der Fachkraft-Debatte vorzulegen.
„Die Qualität der Pflege ist ein hohes Gut“, sagte Senatorin Stahmann. „Wir müssen ein Interesse haben, bestehende Standards zu sichern und weitere Fortschritte zu machen. Dazu gehört auch, dass die Fachkraftquote nicht angetastet wird.“ Sie betonte aber auch, dass die fachliche Qualifikation nicht allein auf die Pflege beschränkt sein dürfe. „Auch Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und pädagogische Fachkräfte haben eine wichtige Funktion in Pflegeeinrichtungen und können, je nach deren Konzeption, in die Fachkraftquote eingerechnet werden.“ Dabei müsse in den Einrichtungen künftig mehr Wert darauf gelegt werden, die Aufgabenbereiche von Fach- und Hilfskräften klarer gegeneinander abzugrenzen, damit die fachliche Expertise so gut wie möglich zur Geltung kommen könne. „Auch diesen Weg müssen wir konsequent weiterentwickeln.“
Für die Zukunft gelte es zudem sicherzustellen, dass auch Hilfskräfte zunehmend ein definiertes Qualifikationsniveau erreichen, über dessen Standards noch diskutiert werden müsse. Eine Orientierung biete die einjährige Ausbildung in der Altenpflegehilfe.
In Bezug auf die Fachkraftquote von 50 Prozent vertreten die Experten aus den unterschiedlichen Bereichen der Pflege sehr unterschiedliche Grundhaltungen:
Prof. Dr. Heinz Rothgang, Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik argumentiert: „Eine fixe Fachkraftquote kann einem optimalen Personalmix entgegen stehen.“
Vortrag Prof. Dr. Heinz Rothgang: "Fixe Fachkraftquote und diverse Personalbedarfe" (pdf, 762.5 KB)
Johanna Kaste, Landesbeauftragte beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V., Landesgeschäftsstelle Bremen, geht von der Grundhaltung aus: „Eine stark steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen bei bestenfalls stagnierender Zahl der Pflegefachkräfte kann auf neue Konzepte nicht verzichten. Eine belastbare Grundlage für neue Konzepte kann der Nationale Qualifikationsrahmen für Pflege und Betreuung älterer Menschen sein.“
Vortrag Johanna Kaste: "Statt 50 Fachkraftquote 100% qualifikationsgerechter Personaleinsatz!" (pdf, 811.8 KB)
Dr. Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bremen betont: „Die personelle Ausstattung in der Altenpflege ist von entscheidender Bedeutung für die Qualität der zu leistenden Pflege. Die Fachkraftquote bleibt in diesem Zusammenhang wichtig; sie muss aber vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des zunehmenden Fachkräftebedarfs durch einen neuen Personalmix von Fach- und Hilfskräften weiterentwickelt werden.“
Vortrag Dr. Arnold Knigge: Die Fachkraftquote in der Altenpflege weiterentwickeln" (pdf, 228.9 KB)
Burkhardt Zieger, Geschäftsführer des Regionalverbandes Nordwest des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), Vorsitzender des Niedersächsischen Pflegerates hält dagegen: „Die Fachkraftquote mag ein starres Instrument sein, aber ein weiterer Abbau von Pflegefachpersonen ist nicht mehr zu verantworten – im Gegenteil muss eher darauf hingewirkt werden, den Fachkräfteanteil auszuweiten.“
Vortrag Burkhardt Zieger: "Expertenhearing Pflege Bremen 16.10.2018" (pdf, 780.3 KB)
Prof. Dr. Hermann Brandenburg von der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar bei Koblenz vertritt die Auffassung: „Die (Pflege)fachkraftquote ist letztlich ein politisches Datum und in vieler Hinsicht bereits flexibilisiert worden. Argumente für eine generelle Absenkung sind pflegewissenschaftlich nicht belastbar, das politische Signal ist darüber hinaus falsch. Die Einrichtungen haben aber die Chance offensiv nach vorne zu gehen und innovative Modelle vorzustellen. Dabei sollte a) ein multiprofessioneller Personalmix begründet und b) ein damit verbundenes Aufgaben- und Kompetenzprofil beschrieben werden.“
Mit einer Anhörung von drei bundesweiten Expertinnen und Experten hat die Sozialsenatorin Frau Stahmann am Freitag, 15. November 2019 im Forum K des Rot-Kreuz-Krankenhauses Impulse für die Pflege in Bremen gesetzt. Im Zentrum stand die ambulante Versorgung im häuslichen Umfeld. In drei jeweils rund 25-minütigen Vorträgen wurde von Fachleuten ihre Erkenntnisse einem Fachpublikum vorgetragen.
Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko, Universität Witten Herdecke, Lehrstuhl für Management und Innovation im Gesundheitswesen an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft referierte zum Thema: „Angehörige leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgung von Pflegebedürftigen in unserer Gesellschaft – ihre eigenen Bedürfnisse stellen sie dabei häufig zurück.“ Bohnet-Joschko trug die ersten Ergebnisse einer laufenden Forschungsarbeit vor, die die Unterstützung pflegender Angehöriger beleuchtet.
Wesentliche erste Ergebnisse sind: Pflegende Angehörige fühlen sich in emotionalen Aspekten am stärksten belastet, Themen zur eigenen Gesundheit und Unterstützung sind besonders wichtig, Angebote zur Förderung der eigenen Gesundheit sind wenig bekannt und werden wenig genutzt. Zur Verbesserung der Situation können z.B. Beratungsangebote am Wochenende oder Notfallteams genauso beitragen wie die Anerkennung der Pflegenden Angehörigen als eigene Bedarfsgruppe und zielgruppenspezifische Beratung und Informationsvermittlung.
Anne Linneweber, Referentin für Altenhilfe und Pflege beim Deutschen Paritätischer Wohlfahrtsverband, Berlin, referierte zum Thema: „Mit Hilfe von lokalen Strukturen vor Ort die Herausforderungen von morgen meistern“ und zieht eine Zwischenbilanz des Strategiepapiers „Visionen für 2025“, das der Paritätische Wohlfahrtsverband 2014 vorgelegt hat. Neben der ambulanten pflegerischen Versorgung beleuchtet des Vortrag auch die Ermöglichung des Alltags für Pflegebedürftige.
Präsentation Anne Linneweber (pdf, 237.1 KB)
Dr. Hanno Heil, Ständiger Lehrbeauftragter und Projektleiter am Lehrstuhl Pastoraltheologie/Diakonische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar und Mitglied im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) referierte zum Thema: „Die Pflegeversicherung vor dem Härtetest: Nachhaltig aufgestellt?“ 25 Jahre nach ihrer Einführung stehe die Pflegeversicherung vor der Herausforderung, dass geburtenstarke Jahrgänge pflegebedürftig werden und geburtenschwache Jahrgänge die Pflege organisieren und finanzieren müssen. Ist das System für diese Herausforderung nachhaltig und stabil aufgestellt – und was sind die Alternativen?
Präsentation Dr. Hanno Heil (pdf, 1.9 MB)
Im Anschluss an die Vorträge hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Expertinnen und Experten Gelegenheit, in drei Gesprächsrunden in einen intensiven Austausch mit den Referentinnen und dem Referenten zu treten.
Inhalte folgen.